Am Sonntag wählt Europa. Eine Wahl, von deren Ergebnis die zukünftige Entwicklung der EU abhängt. Man möchte meinen, die Parteien haben sich einige Gedanken um ihren Wahlkampfauftritt gemacht. Gerade die vielen Wahlplakate gehören aktuell zum Berliner Stadtbild und sollen ihre Vertreter bestmöglich darstellen. Doch leider ist nicht jedes Plakat wirklich gut gelungen. Noch schlimmer: Einige Exemplare verfehlen ihr Ziel beim Betrachter. Welche Fehler wurden begangen?
Die CDU hat sich als konservative Partei nicht von ihren bekannten Mustern bei der Plakatgestaltung abbringen lassen. Aber auch wenn man hier nichts Neues sieht, wurden die alten Linien gut um- und in Szene gesetzt. Wobei bei allen Plakaten auffällt, dass sie keinen Aufforderungscharakter haben, sondern etwas beliebig wirken. Hildegard Bentele, als Spitzenkandidatin der CDU, hat eine natürliche und klare Ausstrahlung, welche die aufgeräumte Gesamtwirkung des Plakats noch unterstützt. Aber ohne steif und altbacken zu wirken.
Durch den direkten und geraden Blick von Frau Bentele wird der Betrachter offensiv angesprochen. Auch die Größe ihres Namens auf dem Plakat zeigt, im Vergleich zum Wahlslogan, die CDU möchte in erster Linie mit starken Personen und nicht nur mit Wahlversprechen werben. Dieser Eindruck wird noch unterstützt durch die dezent eingefügte EU-Flagge auf der linken bzw. die Flagge der Bundesrepublik auf der rechten Seite, die Frau Bentele sozusagen „umschließen“. In der Gesamtheit eine sehr schöne und ausgewogene Bildkomposition.
Auch die SPD macht als große Partei bekanntermaßen keine Experimente bei der Gestaltung ihrer Plakate. In den zwar hell und positiv wirkenden, aber neutralen Farben, wirken alle Plakate nüchtern und seriös. Man ist dem alten Prinzip treu geblieben, mit dem man nichts falsch macht, aber damit natürlich auch wenig Aufmerksamkeit erregt: Normkonform und etwas konservativ. Erfrischend ist jedoch die Spitzenkandidatin Dr. Katarina Barley, die das Gesicht des SPD-Wahlkampfes ist. Ob auf ihrem Portraitplakat oder in einer der Gruppenszenerien, die SPD-Politikerin ist optisch wie gemacht für den Wahlkampf. Frau Dr. Barley bildet mit ihrer natürlich freundlichen und volksnahen Ausstrahlung eine deutliche Sympathie beim Betrachter. Ihr strahlendes Lächeln wirkt echt und die positive Stimmung ansteckend. Die nach rechts gewandte Körperhaltung erzeugt beim Betrachter unbewusst eine zukunftsorientierte Position. Leider fehlt diese Ausrichtung jedoch bei allen anderen Gruppenbildern und ist nur auf der Variante im Portraitstil vorhanden.
Die FDP hat sich im Vergleich zur Vergangenheit etwas gewagt. Die Aufmachung der Plakate ist unkonventionell, modern und farbenfroh. Alles wirkt erfrischend, jung und dynamisch. Auch die Kandidatin der FDP, Nicola Baer, ist mit ihrem einnehmenden Lächeln eine durchaus fotogene und damit überzeugende Wahl. Trotz neuem Ansatz im Farbkonzept ist die Kampagne aber unglücklicherweise nicht hundertprozentig durchdacht. Die grellen und kontrastreichen Farben sind mitunter etwas zu viel des Guten und wirken für FDP-Verhältnisse etwas aufgesetzt. Die Texte sind mitunter zu lang gewählt und erfordern beim Betrachter etwas Zeit beim Erschließen. Ebenso zeigt sich auch hier der Fehler der ungünstigen Positionierung der Kandidatin im Bild – nach links gewandt und somit in die Vergangenheit gerichtet. Hier sogar noch intensiver, da Frau Baer eine Treppe hinabzusteigen scheint und eine diagonale Linie im Bild die abwärts geneigte Position noch deutlich unterstreicht. Zusätzlich macht die optische Schräglage des Bildes den Eindruck als würde die FDP-Kandidatin die gesamte Last der Partei auf ihrem Rücken tragen. So kann man die ironische Frage stellen: Ist das Motto der FDP in diesem Jahr Abstieg statt Aufstieg?
Auch bei den Grünen erneut auffällig – die links gerichtete Körperhaltung. Jedoch hier mit einem positiven Effekt. Denn die Kandidatin der Grünen, Katharina Bärbock, ist dem auffallend großen Hauptslogan des Plakats zugewandt und lässt diesen hierdurch noch präsenter erscheinen. Die Haltung der Hände in der Körpermitte (Bauchregion) verstärkt den Eindruck, es ginge um europäische Angelegenheiten, die unbedingt mit dem „Bauchgefühl“, also mit Intuition behandelt werden müssten. Dies erzeugt einen emotionalen und „menschelnden“ Eindruck.
Das zweite Foto von Katharina Bärbock auf dem Plakat, mit in die Hüften gestemmten Armen, zeigt wiederum eine ganz andere, und zwar offensive und entschiedene Körperhaltung. Daneben der Slogan: „Kommt, wir bauen das neue Europa!“. Interessant, weil die starke Körperhaltung mit einer informellen und duzenden Ansprache kombiniert wird. Womöglich wollen die Grünen mit diesem Mittel an die junge Wählerschaft adressieren. Es entsteht der Eindruck einer fast freundschaftlichen Aufforderung zum gemeinsamen Handeln. Trotz der auch hier etwas zu lang gewählten Texte, eine spannende, aber harmonische Plakatgestaltung, die auch durch die Farbkombination zusätzlich besticht: Grün, Blau und Weiß als sehr positive Kolorierung, die Hoffnung macht.
Die Piraten setzen auf ihre bekannte Farbkombination aus den Hauptfarben Gelb, Rot und Schwarz, was schon bei vergangenen Wahlen zu der auffälligen Sorte von Plakat gehörte. Frisch und jung, aber auch leicht aggressiv, wirken diese Farben. Was die Optik betrifft, setzen die Piraten auf an Comics erinnernde, schillernde Bilder und Illustrationen, statt Fotos. Auch der Kandidat der Piratenpartei, Dr. Patrick Breyer, wird durch dieses Stilmittel verfremdet und pflegt sich perfekt in die Kampagne ein. Wie von der jungen Partei bekannt, sind die Inhalte der Plakate sehr eng am aktuellen Zeitgeschehen orientiert. Leider verlieren die gut gewählten Inhalte durch die chaotische Farb- und Formgebung an Intensität. Der Betrachter benötigt einige Zeit, damit sich das Plakat vollständig erschlossen hat, worunter die Einprägsamkeit leidet. Eine schlichtere Gestaltung wäre in diesem Fall besser gewesen, denn Einfachheit ist prägnanter.
Die Linke bleibt ihrem Motto treu: Aktuelle Schlagworte bzw. Schlagzeilen und Diskussionsthemen der sozialen Natur werden mit plakativen Motiven kombiniert, die für den Betrachter leicht und schnell erschließbar sind. Auf die Kandidaten der Partei wird verzichtet und man setzt auf Bilder statt Gesichter. Nicht einzelne Personen sollen die Politik der Linken definieren, sondern Themen der Gemeinschaft und Gesellschaft. Mit der blau-grauen Farbgebung möchte man sich von CDU, SPD und AfD abgrenzen, die ebenfalls die Farbe Blau intensiv nutzen, jedoch wirkt der Farbton hier eher verwaschen, dröge und durchaus nichtssagend. Das Logo der Linken ist nach rechts oben ausgerichtet und damit positiv zukunftsorientiert. Die Linke besticht insgesamt mit wenig, das zeitgemäß auffällt oder sich von älteren Kampagnen unterscheidet. Man bleibt bei altbekannten Mustern, die leider mittlerweile etwas abgenutzt wirken.
Die Plakate der AfD bestechen insbesondere durch die fehlende Präsenz von Parteikandidaten und dem Vorherrschen von plakatfüllenden Wahlslogans. Was deutlich auffällt, ist die starke Diskrepanz zwischen den provokativen Schriftbotschaften und der allgemeinen (Farb-)Aufmachung der Plakate, welche mit den dominierenden Blau- und Rottönen eher einen seriösen Eindruck erzeugen. Nicht wie eigentlich von rechtspopulistischen Parteien bekannt, boulevardeske Slogans nutzend, sind die Plakate sehr minimalistisch und aufgeräumt. Neben der Farbgebung fällt noch ein weiterer Aspekt auf: Die Schriftzüge und Farbblöcke, ebenso das AfD-Logo, sind nach rechts oben ausgerichtet, was auf den Betrachter eine indirekte Wirkung entfaltet: In diesem Fall wieder eine zukunftsorientierte Richtung. Das Post-it und die informelle Wortwahl des Slogans, im Kontrast zur konservativen Aufmachung des Plakats, verdeutlichen noch einmal die Extreme, mit denen die AfD spielt. Hinter einer seriösen Optik, auf den ersten Blick, verbirgt sich eine radikale und aggressive Haltung.
Hinweis: Meine Analyse der Parteiplakate bezieht sich in erster Linie auf die Betrachtung der optischen Stilmittel und deren direkte und indirekte Außenwirkung auf den Betrachter. Mir als Coach & Trainerin liegt vorwiegend ein Interesse an der optischen und körpersprachlichen Wirkung der Wahlplakate. Bei meiner Analyse bin ich vollkommen unparteiisch und möchte keine politische Position beziehen.